Prof. Dr. Kathrin Köster, Professorin für Internationales Management, Unternehmensführung und Organisation, Hochschule Heilbronn.
Als Professorin für Internationales Management beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit den Unterschieden zwischen den Kulturen dieser Welt und somit den jeweils akzeptierten Werten und Verhaltensweisen. Wir sprechen hier von der so genannten Normalität, also wie sich die Mehrzahl der Mitglieder einer Gesellschaft „richtig“ verhält. Wissenschaftler haben Modelle dazu entwickelt, in welchen Bereichen sich die Kulturen verschiedener Länder oder Regionen voneinander unterscheiden können. Dazu gehören beispielsweise das Bedürfnis, Unsicherheit zu vermeiden, die vorherrschende Orientierung an der Gruppe oder am Individuum, und die Akzeptanz von Hierarchien. Wieso aber entwickelt man Modelle, um Kulturen zu verstehen? Schließlich kennen wir unsere eigene Kultur, wir wissen doch wie wir ticken.
Das Problem hierbei ist, dass wir unsere eigenen Werte und Verhaltensweisen oft nur schwer erkennen können: Wir bekamen sie „eingeimpft“ von Kindesbeinen an, von unseren Eltern und in der Schule. Wir haben uns daran gewöhnt und machen unbewusst das, was wir als „normal“ empfinden. Wir wurden also in gewisser Weise für unsere Gesellschaft „programmiert“, damit wir uns einfügen können. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Sozialisierung.
Was bedeutet das für uns persönlich? Wir tun oft Dinge, die wir vielleicht gar nicht tun wollen, da diese Sozialisierung tief in unser Unterbewusstsein eingedrungen ist und wir uns ihrer Inhalte nicht (mehr) bewusst sind. Das kann zu Spannungen zwischen dem, was wir „eigentlich“ tun wollen, und dem, was von uns erwartet wird, führen. Spannungen, derer wir uns oft nicht einmal bewusst sind und die verschiedene Formen, von schlechter Laune bis hin zu Druck und Krankheit, annehmen können.
Abhilfe kann hier eine konsequente „Entprogrammierung“ schaffen, das heißt, man lernt zu unterscheiden zwischen den Werten der Gesellschaft, in der man lebt, und den eigenen Werten. Das soll nicht heißen, dass die Glaubenssätze unserer Gesellschaft per se problematisch sind. Sie haben dazu beigetragen, dass wir uns zu einem Land entwickelt haben, dessen Bevölkerung im internationalen Vergleich gesehen in großem Wohlstand lebt. Eine genauere Betrachtung unserer kulturellen Prägung hilft uns jedoch, uns selbst besser kennen zu lernen, damit wir unterscheiden können zwischen dem, was von außen an uns herangetragen wurde, und dem, was von innen aus uns herauskommt.
Ein Charakteristikum der deutschen Kultur ist die hohe Unsicherheitsvermeidung, das heißt, die Angst vor Risiko, dem wir mit erhöhter Vorsorge begegnen. Wir möchten gerne gegen alles versichert sein, am besten auch gegen den Tod. Wir sind dazu erzogen, alles genau abzuwägen, unsere Bedenken zu äußern, in Sorge darüber zu sein, was alles schief gehen könnte, und Vorkehrungen dafür zu treffen, dass möglichst nichts passiert. Ob die Dinge, über die man sich sorgt, reale Risiken darstellen, sei dahin gestellt. Manchmal scheint es gerade zu, dass wir süchtig sind nach Objekten oder Situationen, über die wir uns sorgen können. Ein kleines Beispiel am Rande: Es ist überraschend, wie viele Eigenheimbesitzer in der Sorge leben, ein in der Nähe stehender Baum könne auf ihr Hausdach stürzen. Die Statistiken über die Zahl der Bäume die jährlich auf Dächer herabfallen, können diese Sorge jedenfalls nicht stützen und berücksichtigt man dann noch die ohnehin bestehenden, einen eventuellen Schaden umfassende Versicherungsverträge, erscheint diese Sorge künstlich induziert zu sein.
Sorge ist häufig gepaart mit Pessimismus: Man geht vom Schlimmsten aus, man sorgt sich gewissermaßen schon einmal vorsorglich. Und in unserer Gesellschaft ist Sorge sogar ansteckend. Wenn wir uns auf der Straße oder im Laden begegnen, wird sich erst einmal darüber ausgetauscht, wie schlimm alles ist und wie fürchterlich es noch werden könnte. Das ruft Ängste hervor bzw. verstärkt diese. Man badet gemeinsam in negativen Gefühlen und beraubt sich gegenseitig der (Lebens-)Freude, was sich allerdings zumeist sehr subtil vollzieht, da die meisten Menschen so sind und dieses Verhalten so normal geworden ist, dass man es nicht mehr anders kennt. Wir schaukeln uns gegenseitig also in und mit Sorge und Pessimismus auf, was uns emotional und körperlich belastet und schließlich krank macht.
Die Unsicherheitsvermeidung hat aber noch eine weitere Komponente: Die Planung Gerne (ver-)planen wir schon einmal vorab das ganze Jahr, sowohl beruflich als auch für unsere Freizeit. „Urlaubsplanung“ ist zu einem feststehenden Begriff geworden. Niemand kommt mehr auf die Idee, sich erst wenige Tage vor Beginn des Urlaubs zu entscheiden, wie man ihn gestalten möchte. Auch wenn wir uns privat mit Freunden treffen, vereinbaren wir Termine Wochen und Monate im Voraus – denn wir sind ja alle sehr beschäftigt und wir sind alle längst verplant. Mit dieser Planung schaffen wir uns natürlich Planungssicherheit, das heißt, wir wissen schon jetzt, was wir in vier oder acht Wochen tun werden. Was wir aber nicht wissen ist, ob wir dann überhaupt dazu Lust haben werden. Wir kommen längst nicht mehr auf die Idee, uns zu fragen, ob wir etwas nun wollen oder nicht. Es steht ja im Kalender und was dort eingetragen ist, wird „abgearbeitet“. Wir sehen morgens nicht mehr neugierig dem entgegen, was der Tag wohl bringen wird, sondern wir berauben uns der Freiheit, spontan und intuitiv den Tag zu gestalten. Durch die allgegenwärtige Planung verlernen wir intuitives und spontanes Handeln und Entscheiden, und wissen so immer weniger, was wir wirklich wollen. Manchmal scheint es geradezu, als dass wir uns mit Absicht verplanen, um ja nicht in die Verlegenheit zu geraten, uns mit uns selbst zu konfrontieren und uns fragen zu müssen, was uns jetzt gerade gut tun könnte. Wir hetzen durch unser Leben, das wir gut strukturiert und geplant haben, das somit frei von jedweder Unsicherheit ist, aber damit vielleicht auch frei vom „Leben“?
Das heißt aber nicht, dass Planung an sich etwas Schlechtes ist. Es geht vielmehr darum, sich davor zu bewahren, das Planen zum Selbstzweck zu erheben. Es geht darum, innezuhalten und zu erkennen, warum man das tut, was man tut. Normalerweise hat man dazu keinen Anlass, da alle Menschen in unserm näheren Umfeld auf gewisse Weise dasselbe tun. Kultur ist eben per definitionem ein Massenphänomen. Wenn wir uns aber darüber bewusst werden, was unsere kulturelle Prägung ausmacht und warum wir bestimmte Dinge tun, können wir sie gerne weiterhin tun, aber bewusst. Wir haben dann die Wahlfreiheit. Wir sind nicht mehr „programmiert“, sondern können uns unseren eigenen Weg suchen, der uns der geeignete scheint, der uns selbst gut tut.
Wenn wir die Inhalte unserer kulturellen Prägung kennen, haben wir das nötige Wissen, um uns zu entscheiden, das heißt, bewusst bestimmte Verhaltensweisen an den Tag zu legen oder sie aber bewusst abzulegen. Wir ändern unser Verhalten bzw. „entprogrammieren“ uns, wenn wir feststellen, dass wir uns selbst einengen, dass wir uns Druck machen, den wir gar nicht haben wollen. Wenn wir diesen Druck abbauen können durch bewusstes Handeln, unter Umständen auch gegen unsere kulturelle Prägung, haben wir ein Stück Freiheit gewonnen. Wir haben Raum für uns als Individuum geschaffen und das gibt Zufriedenheit und lässt uns eher im Einklang mit uns selbst sein. Je mehr wir im Einklang mit uns selbst stehen, desto wohler fühlen wir uns in unserer Haut und desto eher befinden wir uns im Gleichgewicht.
In diesem Sinne ist es lohnend, sich mit der eigenen kulturellen Prägung auseinanderzusetzen, um auch in diesem Bereich Freiraum für eigenes, „selbst-bewusstes“ Handeln zu schaffen.
Über Köster & Partner
The Joy Factory: Kathrin Köster ist die Gründerin unserer seit 2004 bestehenden Organisationsberatung. Unser Team hat sich auf die Fahnen geschrieben, mehr Freude in Organisationen zu bringen. Wir machen Lust auf Umgestaltung und ein selbstbestimmtes Miteinander. Wir begleiten den Veränderungsprozess hin zu bewussterem und positivem Verhalten, was sich letztlich auch im Erfolg des Unternehmens niederschlägt. Mehr zu uns auf www.koesterpartner.de.